14. November 2024 Timo Hörske - persönlicher Blog
Störerhaftung

Zum EuGH Urteil – Preisbindung von verschreibungspflichtigen Medikamenten

Wenn man sich regelmäßiger mit den Hintergründen von Berichterstattungen auseinandersetzt, stellt man relativ schnell fest, dass die vereinfachte Darstellung von Gerichtsurteilen schwer nachzuvollziehen und die daraus resultierenden Schlüsse schwerzufallen scheinen.

So ging es mir auch bei einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, kurz EuGH, vom Oktober diesen Jahres. Das EuGH hatte über das Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV ((Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union – http://www.aeuv.de/)), eingereicht vom Oberlandesgericht Düsseldorf, zu entscheiden.

Vorabentscheidungsverfahren

Ein Vorabentscheidungsverfahren des EuGH dient dazu, es den nationalen Gerichten zu ermöglichen, dem EuGH Fragen bezüglich der Auslegung und Gültigkeit von Europarecht vorzulegen. Ziel ist es, eine unterschiedliche Auslegung und Anwendung des Unionsrechts in den einzelnen Mitgliedstaaten zu verhindern und damit die Einheitlichkeit und Effektivität des Unionsrechts zu sichern.

Der Fall

Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchen war ein Verfahren zwischen der Deutsche(n) Parkinson Vereinigung (e.V.). und der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs (e.V.). In der Sache vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf ging es im Wesentlichen um folgenden Sachverhalt: Die Deutsche Parkinson Vereinigung (DPV) hat ein Bonussystem in Kooperation mit der Versandapotheke DocMorris beworben, das für Mitglieder, die bei der Versandapotheke bestellen, Boni für verschreibungspflichtige Parkinson-Medikamente vorsah. Für die gegnerische Seite, der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs (ZBW), war darin ein Verstoß gegen das, im deutschen Recht vorgesehene, Gebot der Preisbindung beim Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel ((sog. RX-Arzneimittel)), gemäß § 78 Abs. 2 Arzneimittelgesetz ((AMG)) in Verbindung mit der Arzneimittelpreisverordnung ((AMPreisV)), gesehen worden.

Preisbindung von verschreibungspflichtigen Medikamenten

In Deutschland ist die Preisbindung von verschreibungspflichtigen Medikamenten streng geregelt. Die Arzneimittelpreisverordnung regelt die Bildung der Preise aller RX-Arzneimittel. Der Grundtenor dabei ist, dass an Patienten das gleiche Arzneimittel in jeder Apotheke zum selben Preis abgegeben werden muss.

Die Gründe für einheitliche Apothekenpreise

Oftmals wird argumentiert, dass die Festlegung eines einheitlichen Apothekenverkaufspreises den Wettbewerb der Apotheken unterbindet und den Patienten sowie Krankenkassen schadet. Dies alleinig betrachtet, könnte das so aussehen. Das gegenwärtige Gesamtsystem der Arzneimitteldistribution in Deutschland könnte, ohne diese staatliche Regulierung, kaum erhalten werden. Dieses System schützt die Patienten – und die solidarisch zahlende Gemeinschaft.

Menschen die Medikamente benötigen sind – aus naheliegenden Gründen – zu einem Vergleich von Preisen, wie der normale Kosument etwa, kaum oder nur eingeschränkt in der Lage. Aus meiner Sicht und auch aus der Sicht des deutschen Gesetzgebers ist ein kranker Patient kein frei handelnder Nachfrager, gemäß der Theorie einer freien Marktwirtschaft. In einem System, ohne die Regulierung nach der Arzneimittelpreisverordnung, ließe sich nur schwer verhindern, dass diese Notlage von Anbietern ausgenutzt werden könnte. Bei einheitlichen Apothekenabgabepreisen muss sich dagegen niemand Sorgen machen, er würde womöglich benachteiligt.

Weiterhin müssten die Gegner der Preisbindung  berücksichtigen das Apotheken im Rahmen des Gesamtvergütungssystems  eine Vielzahl von einzelnen Leistungen, die nicht – oder nur eingeschränkt – gesondert abgegolten werden, erbringen. Neben der pharmazeutischen Beratung gehört hierzu u.a. auch die Arzneimittelversorgung außerhalb der gewöhnlichen Ladenöffnungszeiten (nachts, Sonn- und Feiertage) und die Bereitstellung weiterer Dienstleistungen.

Ebenfalls könnte man argumentieren, dass ein einheitlicher Preis von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln keinesfalls einen Wettbewerb zwischen den Apotheken verhindert. Denn er lenkt ihn dagegen in andere, dem Patienten dienlichere Bahnen – nämlich hin in Richtung eines Qualitäts-, Leistungs- und Servicewettbewerbs zwischen mehr und weniger kundenorientierten Apotheken.

Diese zusätzlichen Wirkungen der Preisbindung von verschreibungspflichtigen Medikamenten wurden vom Gesetzgeber bewusst zur Steuerung eingesetzt.

Die Entscheidung des EuGH

In der Rechtssache C‑148/15 ((http://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?num=C-148/15)) stellt der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil fest, dass die Preisbindung in Deutschland für  verschreibungspflichtige Arzneimittel in den Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit, gemäß Art. 34 AEUV, nicht unerheblich eingreift.

Nach Unionsrecht ist es den Mitgliedstaaten untersagt mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung vornehmen, die dazu dienen, die Einfuhren zwischen Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell einzuschränken.

Zwar betrifft die deutsche Preisbindung alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gleichermaßen, die ihre geschäftlichen Tätigkeiten im Inland ausüben. Die Benachteiligung durch die deutsche Preisbindung von verschreibungspflichtigen Medikamenten trifft jedoch (Versand-)Apotheken aus anderen Mitgliedstaaten stärker als im Inland ansässige Apotheken. Der Preiswettbewerb ist für Versandapotheken, aufgrund ihres eingeschränkten Leistungsangebots, ein wichtigerer Wettbewerbsfaktor als für traditionelle Apotheken. Von diesem hänge es laut dem Gericht ab, ob Versandapotheken einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt finden können.

In der Begründung hat das Gericht weiterhin ausgeführt, dass der Eingriff der deutschen Preisbindung als Maßnahme zum Schutz der Gesundheit oder des Lebens von Menschen nach Art. 36 AEUV nicht gerechtfertigt ist. Diese Schutzgüter nehmen den höchsten Rang unter den vom Unionsrecht geschützten Gütern und Interessen ein. Die Mitgliedstaaten besitzen einen großen Interpretationsraum bei der Einstellung, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten wollen. Das EuGH hat die gewählte Argumentation des Gesetzgebers als wirksame Maßnahme zum Schutz der Gesundheit oder des Lebens von Menschen verneint. Denn die staatlichen Beschränkungen von Grundfreiheiten müssen geeignet sein, das verfolgte legitime Ziel auch zu erreichen. Die Mitgliedsstaaten sind in solch einem Verfahren in der Beweislast. So müsste beispielsweise die Geeignetheit der Maßnahme zur Erreichung des rechtfertigenden Zieles mit Hilfe statistischer Daten oder anderer Mittel dargelegt werden.

Im vorliegenden Verfahren hat das Gericht dargelegt, dass keine ausreichenden Hinweise vorhanden waren, die belegen dass dies möglich sei. Daher war die Entscheidung im Sinne der Auslegung des Unionsrechts folgerichtig.

Den Volltext des Urteils können Interessierte hier nachlesen.

Folgen des Urteils

Wie bereits beschrieben entscheidet der EuGH im Vorabentscheidungsverfahren über die Auslegung des Unionsrechts oder über seine Gültigkeit. Er ist hingegen nicht berechtigt, über die im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits aufgeworfen Sachfragen oder über die Auslegung oder Anwendung des nationalen Rechts zu entscheiden.

Die Anwendung des Unionsrechts auf den dem Ausgangsverfahren zugrundeliegenden Sachverhalt ist Sache des vorlegenden Gerichts. Nun muss das Oberlandesgericht Düsseldorf über die Berufung der DPV richten. Es in seiner Beurteilung, aufgrund der bindenden Wirkung des EuGH-Urteils,  darf es nicht von der Bewertung des EuGH abweichen. Das OLG hat nun bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, dass die Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel im Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit  fällt.

Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ist die Preisbindung der Arzneimittelpreisverordnung, mangels Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht, nicht anwendbar. Dies ergibt sich aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts gegenüber nationalem Recht. Das bedeutet, dass das dem Unionsrecht widersprechende Gesetz des Mitgliedsstaates zwar gültig ist, jedoch im Anwendungsbereich des Unionsrechts nicht anwendbar ist. Also insofern berührt das EuGH Urteil nicht die Gültigkeit der gesetzlichen Festlegung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises für RX-Arzneimittel in § 78 Abs. 1 S. 4 AMG, §§ 1 und 3 AMPreisV.

Die in Deutschland ansässigen Apotheken bleiben an die für sie weiterhin geltenden Vorschriften gebunden. Das Verbot des Art. 34 AEUV betrifft nur einfuhrbehindernde Maßnahmen. Die Nichtanwendbarkeit der Preisbindungsregelungen tritfft entsprechend nur auf EU-ausländische Apotheken zu. Es kann folglich zu einer Benachteiligung inländischer Apotheken kommen. Die sogenannte Inländerdiskriminierung ist ein grundsätzliches Problem der strukturellen Begebenheiten der Europäischen Union und tritt auch in anderen Bereichen auf.

Auf  die nationale Gesetzgebung, die beispielsweise die gesetzliche Preisbindung aufheben würden oder den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten, wie vor der 2004 in Kraft getretenen Gesetzesänderung ((BGBl. I 2003, S. 2190, vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 165)) unter Berücksichtigung der EuGH-Entscheidung vom 11. Dezember 2003 (( in der Rs. C-322/01 (Deutscher Apothekenverband/DocMorris) )) verbieten, hat das Urteil des EuGH keine unmittelbaren Auswirkungen.

Standpunkt

In vielen Kommentaren der Journalisten und einiger Interessenverbände wird nun ein massenhaften Apothekensterben prophezeit. Meiner Meinung nach ist es aus den obengeschilderten Einfluss auf die deutsche gesetzgebende Gewalt nicht zu erwarten.

Es kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der wirtschaftliche Druck auf die Apothekenwirtschaft stärker werden wird. Vielleicht ist es aber auch die Chance, dass das angestrebte Ziel in Richtung eines Qualitäts-, Leistungs- und Servicewettbewerbs, durch den Fall der Preisbindung ,eher gestärkt wird. Denn wenn die Preissicherheit der Apotheker kein Wettbewerbsvorteil mehr ist, müssen viele Apotheken umdenken und ihren Fokus mehr auf Qualität und Service richten. Der Onlineversand kann die Beratungsleistung vor Ort nicht ersetzen. Hier liegt ein neues Alleinstellungsmerkmal auf der Hand. Er muss nur genutzt werden.

Es bleibt abzuwarten wie der Gesetzgeber mit der Einschätzung des EuGH umgeht. Ein Umdenken und die Umsteuerung der bisherigen Systeme ist notwendig und eröffnet zahlreiche Möglichkeiten, dass antiquirte System der deutschen pharmazeutischen Strukturen aufzubrechen.

Weiterführende Quellen:

http://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?num=C-148/15

http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/eugh-erklaert-preisbindung-fuer-medikamente-fuer-rechtswidrig-a-1117279.html

https://www.it-recht-kanzlei.de/preisbindung-verschreibungspflichtige-medikamente.html

 

 

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