Im Deutschen Bundestag gab es letzte Woche eine zwar lange fällige Debatte zum Völkermord des osmanischen Reiches an den Armeniern. Diese auch als Armenienresolution bezeichnete Debatte lässt für mich aber einige Fragen offen.
Die Diskussion
Im Deutschen Bundestag wurde ein fraktionsübergreifender Antrag von SPD, CDU/CSU und Gründen ausführlich diskutiert und auch beschlossen. Es gab eine intensive Auseinandersetzung mit den historisch zu Grunde liegenden Ereignissen in den Jahren 1915 bis 1916. Der durch das damalige Osmanische Reichen begangenen Vernichtung und Vertreibung, fielen mehr als eine Million Armenier zum Opfer. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages schlossen sich mit der sogenannten Armenienresolution der weitaus überwiegenden Zahl von Historikern und Völkerrechtlern an und verurteilten die damaligen Vorgänge als Völkermord an den Armeniern. Im Antrag wurde aber auch eindeutig klar gestellt, dass es nicht um eine einseitige Anklage ging und nicht gegen die heutige türkische Regierung gerichtet ist. Denn auch aus der Sicht des Parlamentes gab es eine Mitschuld durch das damalige Deutsche Reich, dem die Vernichtung der Armenier bewusst gewesen sein musste und nichts zu Unterbindung der Geschehnisse unternommen hat. Im Kern geht es um eine Aufforderung die Ereignisse aufzuarbeiten und eine Versöhnung herbei zu führen.
Der historische Hintergrund
Der, nun auch vom Deutschen Staat als Völkermord bezeichnete, Genozid an den Armeniern gilt als erste systematische Vernichtung eines Volkes im 20. Jahrhunderts. Während des Ersten Weltkrieges kam es unter der Verantwortung der vom Komitee für Einheit und Fortschritt gebildeten Regierung des Osmanischen Reiches zu Massakern und Todesmärschen. Zwischen 1915 und 1916 kamen je nach Schätzung und Quelle zwischen 300.00 und mehr als 1,5 Millionen Menschen zu Tode.
Das armenische Volk sieht in den Ereignissen ein ungesühntes Verbrechen und fordert daher sein mehreren Jahrzehnten ein angemessenes Gedenken auch und vor allem in der Türkei. Die offizielle türkische Position bestreitet hingegen, dass es sich um einen Völkermord handelt. Die Regierung der, aus dem Osmanischen Reich hervorgegangenen, Republik Türkei bezeichnen die Deportationen als “kriegsbedingte Sicherheitsmaßnahme” gegen Verräter und Kriegssaboteure, die ebenfalls Massaker an Muslime begangen hätten. Es seien ungünstige Umstände und lediglich vereinzelte Übergriffe an den Todesfällen Schuld.
Die starke Diskrepanz innerhalb der Wahrnehmung der beteiligten Länder und auch der westeuropäischen Länder gilt als Ursprung zahlreicher weiteres Konflikte.
Der Begriff Völkermord
Erst seit 1948 ist der Völkermord oder auch Genozid ein Straftatbestand im Völkerstrafrecht nach den Konventionen über die Verhütung und Bestrafung Völkermordes und kann nicht verjähren.
Der Straftatbestand setzt eine spezielle Absicht voraus auf direkte oder auch indirekte Weise eine “nationale, ethnisch, rassische oder religöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören.” ((Gerhard Werle (Hrsg.): Völkerstrafrecht, 3. Auflage, 2012, ISBN 978-3-16-151837-9)). Seit dem Beschluss durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen 1948 wurde die Bestrafung von Völkermord auch in verschiedenen nationalen Rechtsordnungen ausdrücklich verankert.
Reaktion der Türkei
Die Tatsache, dass der Straftatbestand erst 1948 nach dem 2. Weltkrieg eingeführt worden ist, nimmt die türkische Regierung als ein Argument, dass die Vorfälle von 1915/16 nicht als Völkermord aufgefasst werden kann.
Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim hatte vorab die Resolution als unsinnig beschrieben und den Armeniern eine Mitschuld zu geschrieben. Das Land habe eine Geschichte, “durch Aufwiegelung in Dinge verwickelt” zu sein. ((Quelle: Die Welt http://www.welt.de/politik/ausland/article155939091/Tuerkei-fordert-Richtigstellung-von-Deutschland.html))
Yildirim meint in der Vergangenheit sei Armenien durch Duldung und Unterstützung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK an Terroranschlägen auf die Türkei Mitschuld und direkt beteiligt.
Eigene Völkermorde
Die Argumentation, dass der Straftatbestand erst 1948 eingeführt wurde und nicht rückwirkend gelten könne, wurde auch schon einmal von einem deutschen Bundestagsabgeordneten in einem anderen Fall des 20. Jahrhunderts angeführt.
” Die Rechtsnorm des Völkermords wurde allerdings erst 1948 geschaffen, sodass ein Rückbezug nicht möglich ist und Rechtsansprüche daraus auch nicht hergeleitet werden können. ” Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) ((Plenarprotokoll Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 124 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 24 . September 2015, 12088 http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/18/18124.pdf#P.12088 ))
Es geht um den Völkermord an den Herero und Nama. Der Genozid an den Herero und Nama geschah während und nach der Niederschlagung von Aufständen der Herero und Nama gegen die deutsche Kolonialmacht in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika während der Jahre 1904 bis 1908. Durch Existenzängste ausgelöste Aufstände begannen im Jahre 1904 mit Angriffen auf deutsche Einrichtungen und Farmen. Die Reichsleitung entsandte Verstärkung, da die lokalen Schutztruppen mit den Aufständischen überfordert waren. Unter Generalleutnant Lothar von Trotha wurde der größte Teil der Herero in die wasserarme Omaheke-Wüste getrieben und wurden abgeschottet von den wenigen existierenden Wasserstellen. Tausende Herero mitsamt ihren Familien und Rinderherden verdursteten. Im sogenannten Vernichtungsbefehl lies von Trotha mitteilen: „Die Herero sind nicht mehr Deutsche Untertanen. […] Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.“ (( Jan-Bart Gewald: The Great General of the Kaiser. In: Botswana Notes and Records. Band 26, S. 74. )) – weitere Informationen bietet u.a. das Deutsche Bundesarchiv.
Kommentar
Die letzte Woche verabschiedete Resolution fordert eine Aufarbeitung des Genozid an den Armeniern, mit den eigenen vor dem 2. Weltkrieg begangenen Verbrechen fällt der deutschen Regierung die Aufarbeitung sichtlich schwerer. Denn eigentlich könnte die Niederschlagung und Vertreibung der Herero als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden. Ich empfinde die Resolution der letzten Woche richtig, aber ich finde es ist über die Verbrechen in deutschem Namen in gleichem Maße zu wenig berichtet und diskutiert worden. Wir brauchen auch für diesen Teil unserer eigenen Geschichte eine Aufarbeitung.
Ich will nicht verschweigen, dass die Bundesrepublik seit vielen Jahren mit der Regierung Namibia in enger Zusammenarbeit eine entsprechende Resolution vorbereitet. Aber die Vertreter der Herero fühlen sich in diesen Gesprächen nicht ausreichend involviert und haben weitreichende Forderungen gestellt, die neben einer offiziellen Entschuldigung auch u.a. die Übergabe von Gebeinen aus deutschen Sammlungen sowie Versöhnungsmaßnahmen einschließlich der Zahlungen von Reparationen enthalten.
Diese Verhandlungen sind in Deutschland weitestgehend unbekannt und verdienen meiner Meinung nach aber ebenfalls eine entsprechende offene und weitreichende Diskussion im Deutschen Bundestag, wie die Armenienresolution.