21. November 2024 Timo Hörske - persönlicher Blog
Jurisprudenz

§ 219a StGB, ein fauler Kompromiss

Man könnte wie die TAZ titelt, den Kompromiss der Regierungsfraktionen zum § 219a StGB als Orwell’sche Abstrusität bezeichnen. Selbst mir als Genosse, bewusst in der männlichen Form, geht der Kompromiss lange nicht weit genug und ist Ausdruck der schwachen Durchsetzungsfähigkeit in der Führung meiner Partei.

Nach dem Tatort am Sonntag gab es bei Anne Will eine sehr intensive Debatte über den § 219a. ((Die Sendung kann hier in der Mediathek nachgesehen werden.)) Diese Diskussion habe ich zum Anstoß genommen, nach langer Zeit mal wieder einen politischen Beitrag auf meinem Blog zu verfassen.

Worum geht es in der Debatte?

Die Frage, die es zunächst zu beantworten gilt, ist der Grund für die aktuellen Diskussionen um den § 219a StGB. Im Kern der Debatte geht es genauer um den Absatz (1):

§ 219a Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft

„(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise
1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines
Schwangerschaftsabbruchs oder
2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der
Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung
anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ ((https://dejure.org/gesetze/StGB/219a.html))

Ärztinnen und Ärzte, wie die in Debatte bekannt gewordene Gießener Medizinerin Kristina Hänel, werden zunehmend zu Geldstrafen verurteilt, weil sie auf die möglichen Eingriffe im Bereich der Schwangerschaftsabbrüche in ihren Praxen hinwiesen.

Ein eigentlich „kleineres, juritisches Problem“ wird aktuell um viele Bedeutungsebenen erweitert und bekommt dadurch eine Dimension, die in den 70er Jahren in der West-BRD und in den 90er im frisch vereinigten Deutschland bereits für heftige Wortgefechte gesorgt hat. Auch die Debatte um den § 218 StGB nimmt in diesem Zusammenhang wieder Fahrt auf.

Aber der Reihe nach…

Durch verschiedene Urteile gegen Ärzte und die entstandene öffentliche Aufmerksamkeit stieg gleichzeitig der Druck auf die SPD – auch von Seiten der drei Oppositionsparteien FDP, Grüne und Linke, die größtenteils für eine Streichung des Werbeverbots sind. Die Beschlusslage der SPD ist dazu nicht so ausführlich, aber in der Basis ist klar, dass der § 219a StGB abgeschafft gehört. Umso enttäuschter dürften viele Genossinnen und Genossen über den gefällten Kompromiss sein.

Denn der Paragraf bleibt im Strafgesetzbuch erhalten. Die Ärztinnen und Ärzte dürfen zwar künftig straflos darüber informieren, dass sie Abbrüche durchführen. Aber schon weitergehende Informationen, beispielsweise welche Methoden angewandt werden, sind nicht zugelassen. Dazu muss dann auf Listen von neutralen Stellen verlinkt werden. Erst in diesem zweiten Schritt erfahren die hilfesuchenden Frauen ob jemand einen medikamentösen Abbruch anbietet oder einen operativen.

Es gibt wohl keinen Paragrafen im Strafgesetzbuch, der aktuell so umstritten ist wie der §219a. Dieser wird nun laut Referentenentwurf der beteiligten Ministerien nicht gestrichen, sondern um einen Ausnahmetatbestand erweitert. Statt Rechtssicherheit, durch Klarheit wird eine weitere Ausnahme der Regel hinzugefügt.

Meiner Meinung nach…

… gibt es wenige Paragrafen im Strafgesetzbuch, die so unnötig und überflüssig sind, wie der § 219a StGB. Ärzte dürfen nur beschränkt für Ihre Leistungen werben, denn schon die Berufsordnungen der Mediziner untersagt es ihnen in anstößiger Weise Werbung zu verwenden. Verstöße gegen die Berufsordnungen können mit Geldstrafen bis hin zu einem Berufsverbot geahndet werden.

Viele weitere Regelung in einfach gesetzlicher Art regulieren bereits, was nicht gewollt ist und was als Schreckgespenst gerade von den Unionsparteien an die Wand gemalt wird: Schwangerschaftsabbrüche bis kurz vor der Geburt und lautmalerische Schnäppchenangebote für schwangere Frauen. Diese Fälle von Überspitzung sind weder zulässig, noch von irgendwem der Beteiligten gewollt oder gefördert. Die Art der Debattenführung stigmatisiert Ärztinnen, Ärzte und hilfesuchende Frauen und schafft ein Klima, das dem gesellschaftlichen Konsens weder zuträglich noch angemessen ist.

Das Strafgesetzbuch, als Ultima Ratio…

Im geltenden und durch die Rechtsprechung gebildeten Strafrecht gilt in Deutschland, wie in vielen anderen demokratischen Rechtsstaaten, das Prinzip der „ultima ratio“. Im Kern heißt dies, dass das Strafrecht entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als letztes Mittel verwendet werden soll um den Rechtsfrieden zu erzwingen.

Dem Rechtswissenschaftler Heribert Ostendorf zufolge ist das Strafrecht das „schärfste Steuerungsinstrument des Staates, weil hiermit in der Regel am härtesten in die Privatsphäre eingegriffen wird.“ ((Strafrechtsprinzipien und Strafverfahren auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung – http://www.bpb.de/izpb/268230/strafrechtsprinzipien-und-strafverfahren))

Es ist also mehr als fraglich, warum hier, obwohl einfach gesetzliche Regelungen vorhanden sind, weiterhin mit dem schärfsten Mittel des Rechtsstaates gedroht wird. Das eine Information über eine straffrei durchgeführte Dienstleistung im Strafrecht reguliert wird, ist in der Gesetzgebung der Bundesrepublik einmalig. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt: Wenn es rechtlich möglich ist, Abbrüche durchzuführen, dürfen Ärztinnen und Ärzte darüber auch informieren. ((BVerfG NJW 2006, 3769))

Weitere Aspekte einer möglichen verfassungsrechtlichen Bedenklichkeit des § 219a StGB

An dieser Stelle möchte ich noch weitere Aspekte erwähnen, die § 219a StGB meiner Meinung nach verfassungsrechtlich bedenklich erscheinen lassen:

Im Gerichtsverfahren gegen Kristina Hänel ging es in der Verteidigung u.a. um die Norm im Hinblick auf die Berufsfreiheit der Ärzte aus Art. 12 I GG. Dort könnte als problematisch angesehen werden, dass diese auch das Recht umfasst, die Öffentlichkeit über erworbene berufliche Qualifikationen wahrheitsgemäß und in angemessener sachlicher Form zu informieren. Unter dem Aspekt der Einheit der Rechtsordnung kann nicht zivilrechtlich etwas erlaubt sein, dass dann aber strafrechtlich negative Folgen hätte.

Der umstrittene § 219a StGB greift meiner Meinung nach auch in die Informationsfreiheit der potenziellen Patientinnen nach Art. 5 I 1 Alt. 2 GG in unzulässigerweise ein. Die Informationsansprüche gewährleisten das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu erkundigen. Ebendiese Informationsrechte von Patienten sind darüber hinaus im Patientenrechtegesetz geregelt. Die gegenwärtige Auslegung des § 219a StGB verhindert aktuell jede öffentlich zugängliche Information, die nicht vom Staat durch das Schwangerschaftskonfliktgesetz vermittelt wird.

So entsteht ein Konflikt mit der Position, die das Bundesverfassungsgericht in seiner zweiten Abtreibungsentscheidung eingenommen hat ((BVerfGE 88, 203 = NJW 1993, 1751)). Nach Ansicht der Richter des BVerfGE ist die nicht indizierte Abtreibung zwar rechtswidrig. Gleichzeitig hat die damalige Kammer es aber anerkannt, dass die Straflosigkeit der Abtreibung in den ersten zwölf Wochen im Hinblick auf die (Selbstbestimmungs-) Rechte der Frau verfassungsgemäß ist. Folglich erscheint es widersprüchlich, den Zugang zu Informationen darüber zu verweigern.

Informationsfreiheit und Selbstbestimmung

Der Rechtsschutz auf Information ist die grundsätzliche Voraussetzung für eine selbständige Meinungsbildung. Das Verbot aus § 219a StGB beeinträchtigt zudem das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Frau aus Art. 2 I GG und im Speziellen ihr Patientenselbstbestimmungsrecht. Dieses leitet sich, teilweise auch aus der körperlichen Unversehrtheit gem. Art. 2 II GG, ab.

Betroffene Patientinnen können sich für entsprechende Informationen zwar an die staatlich anerkannten Stellen nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz (§ 9 SchKG) wenden. Die Beratungsstellen sollen sie nach den gesetzlichen Vorschriften grundsätzlich ergebnisoffen beraten. Ob dies schon aus rechtlicher Sicht gelingen kann, ist zweifelhaft. Denn die Beratung ist gem. § 5 SchKG gerade dem Schutz des ungeborenen Lebens verpflichtet und soll die Frau dazu ermutigen, die Schwangerschaft fortzusetzen. Folglich sind die im Beratungsgespräch vermittelten Informationen nicht neutral.

Für eine tatsächlich und umfängliche, freie Selbstbestimmung im Sinne von Art. 2 I GG ist es aber notwendig, dass die schwangere Frau in Kenntnis aller relevanten Tatsachen und Umstände die Entscheidung eigenständig trifft. Die Kenntniserlangung erfasst auch das persönliche Recht, sich die Quellen für die nach subjektiver Einschätzung notwendigen Aspekte selbst zu suchen und frei auswählen zu können. Demnach greift der § 219a StGB in eine wesentliche Komponente des Selbstbestimmungsrechts aus Art. 2 I GG und Art. 2 II GG ein.

Rechtliche Bewertung des § 219a StGB umstritten

Mag man dem Eingriff in die Berufsfreiheit der Ärztinnen und Ärzte aufgrund seiner geringeren Intensität noch als gerechtfertigt ansehen können. Die Dinge liegen bei der Informationsfreiheit und dem Selbstbestimmungsrecht deutlich anders.

Es ist nicht ersichtlich, warum das vom Werbeverbot geschützte Rechtsgut – das ungeborene Leben – durch die sachliche Information von Ärzten in einer Weise beeinträchtigt wird, dass es das Interesse der ungewollt schwangeren Frau an sachlicher Information und Selbstbestimmung überwiegt.

Folglich ist, wenn die Vorschrift nicht einschränkend ausgelegt wird, die von der Unionsfraktion angestrebte Aufrechterhaltung der Norm verfassungsrechtlich als problematisch anzusehen. Eine Streichung des § 219a StGB stellt mithin aus meiner Sicht keine Gefahr für den Rechtsfrieden da. Die Argumentation über den Schutz des ungeborenen Lebens, seitens der Union, verfängt für das Werbeverbot meiner Ansicht nach nicht.

Kritik am Referentenentwurf

Das eigentliche Problem löst der Gesetzesentwurf bisher nicht. Die geforderte Rechtssicherheit wird nicht erreicht. Im Gegenteil, denn die neuen Regelungen sind ein Widerspruch in sich. Denn dieselbe Information ist auf der Webseite einer neutralen Stelle legal. Auf der Webseite einer Ärztin oder eines Arztes ist es aber eine Straftat.

So müssen Ärztinnen und Ärzte weiter sehr vorsichtig sein, denn ein falsches Wort auf der Webseite, und sie stehen wieder mit einem Bein im Gefängnis. Warum sollte dies notwendig sein? Es geht im Kern doch über sachliche Information.

Wenn man als den gesellschaftlichen Diskurs über Schwangerschaftsabbrüche regulieren will, wie die Unionsfraktion es fordert, dann geht das auch im Ordnungswidrigkeitenrecht. Dort wäre es möglich, etwa grob anstößige Werbung oder Werbung für rechtswidrige Abbrüche mit Geldbußen zu belegen.

Was bleibt…

Nimmt man diese Gesamtschau einmal zusammen, so ist es für mich wenig verständlich, warum die SPD geführten Ministerien sich in der Frage des Werbeverbotes nicht einmal durchgesetzt haben und an dem Gesetzesentwurf der SPD ((http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/010/1901046.pdf)) festgehalten haben, der noch Anfang des letzten Jahres die Streichung des Paragrafen vorgesehen hatte.

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