Wenn ich erzähle, dass wir mit Anfang dreißig einen Kleingarten haben, gibt es meist nur eine von zwei Varianten in den Reaktionen der gegenüber: Ihr seit aber alt geworden und so konservativ oder seit Ihr jetzt unter die Ökos gegangen?
Ich schlussfolgere daraus, dass man entweder alt ist oder aber ein grüner Vollversorger werden muss, um das Recht zu haben ein Kleingärtner zu sein. Innerlich fange ich dann an zu schmunzeln. Denn beide Erklärungen greifen meiner Meinung nach zu kurz.
Schrebergärtner sind keine ökologischen Selbstversorger.
Wer mir auf Facebook oder Instagram folgt, der hat mitbekommen, dass der Anbau von Obst und Gemüse mir große Freude bereitet. Zum Selbstversorger fehlt aber einiges an Anbaufläche, Zeit und Arbeit.
Es gibt Berechnungen, dass für die Versorgung eines zwei Personenhaushaltes min. 350 m² Anbaufläche für Obst und Gemüse gebraucht werden. Unser Kleingarten hat gerade mal 400 m² Gesamtfläche incl. Spitzdachlaube. Nur rund ein Drittel nutzen wir für unsere Pflanzungen.
Allein diese Zahlen zeigen, dass wir von der Eigenversorgung weit entfernt sind. Die Selbstversorgung ist eine autonome, also von anderen Personen, Gemeinschaften, Institutionen oder Staaten unabhängige Lebensführung. Bei dieser sind Produzenten und Konsumenten identisch.
Zusammenfassend: Der Schrebergärtner ist per se kein Selbstversorger.
Warum baut man im Kleingarten Obst und Gemüse an?
Ziel und Wunsch unseres Gemüseanbaus ist primär der Genuss an der Sache selbst. Natürlich wird man Süßkartoffeln, Topinambur und Co. im Supermarkt kaufen können. Mit Sicherheit ist der Kauf günstiger als, wenn man Pacht, Nebenkosten und Aufwand gegenrechnen würde. Darauf kommt es aber nicht an.
Die Arbeit die man sich mit sähen, jäten, düngen und regelmäßig gießen macht, sorgt dafür dass man sich mit dem fertigen Produkt mehr identifiziert und den Wert mehr schätzt. Diese Wertschätzung kann man schmecken. Man überlegt öfter was man Leckeres aus dem eigenen Obst und Gemüse kocht. Nach unserer Erfahrung isst man häufiger Obst und Gemüse aus dem Kleingarten, als gekaufte Varianten.
Schrebergärtner sind also auch ernährungsbewusstere Menschen. Die Butter, mit Kräutern aus dem eigenen Garten, schmeckt zu frisch gebackenem Brot besser. Deswegen backen wir häufiger selber.
Was macht ein Schrebergarten wertvoll?
Neben frischen Obst und Gemüse bereitet ein Kleingarten noch viel mehr lohnenswerte Aspekte. Um den Schrebergarten attraktiv zu halten ist regelmäßige körperliche Anstrengung von Nöten. Neben regulärem mähen, jäten und gießen fallen viele verschiedene Tätigkeiten an.
Ein Garten ersetzt jedes Fitnessstudio. Die Bewegungen, die dort anfallen sind vielfältiger und beanspruchen alle Körperpartien besser als es ein einfaches Sportprogramm könnte. Die gesündere Ernährung hatte ich bereits angesprochen.
Hinzu kommt die Möglichkeit, sich abseits des täglichen Alltags im eigenen kleinen Paradies zu entspannen. Wer sich einmal auf den Rasen gelegt und den Vögeln in unserem Garten zu gehört und zu geschaut hat, weiß sehr gut was ich meine.
Bewegung und Entspannung gilt nicht nur für uns Menschen, sondern auch für unsere tierischen Mitbewohner. Unser Hund Wilson blüht im Schrebergarten auf und genießt es dort zu spielen. Für unsere griechische Landschildkröte hat der Garten genauso Vorteile: Artgerechte und belastungsfreie Ernährung und Bewegung sind dort uneingeschränkt möglich.
Bin ich jetzt alt oder ein Öko?
Nein ich bin weder „alt“ geworden, konservativ oder gar ein Öko. Für mich ist unser Kleingarten eine Möglichkeit sich vom Alltag zu erholen, sich an frischer Luft zu bewegen und mehr mit verschiedenen Obst- und Gemüsesorten zu experimentieren.
Es ist eher Zeichen eines gereiften Gemütes, eben diese Dinge zu schätzen. In diesem Sinne mag ich „älter“ geworden sein. In unserer schnelllebigen Zeit ist es Luxus sich einmal zu entschleunigen. Es braucht Geduld bis die Ernten soweit sind, aber diese Zeit nimmt man sich bewusst und gerne. Dieses Bewusstsein für die eigene Sache ist selten geworden. Ich habe es im Schrebergarten schätzen gelernt, einmal warten zu müssen.
Neben dem Bewusstsein für das eigene Tun fördert ein Kleingarten das Gefühl für die persönlichen Möglichkeiten, die Umwelt um sich herum zu verändern. Nach dem System von Aktion und Reaktion kann beobachtet werden, wie sich beispielsweise der Bau eines Insektenhotels positiv auf die eigene Ernte auswirkt. Wenn man den Garten für nützliche Insekten attraktiv macht, dann hat man direkt etwas davon. Man geht mit einer anderen Wahrnehmung an die Themen Umweltschutz und Insektensterben heran.
Nimmt man diese andere Wahrnehmung und Umgang mit der eigenen Umwelt als Maßstab, dann darf man mich gerne als Öko bezeichnen.
Off-Topic
Nach einer Textanalyse ist dieser Text zu 72% subjektiv, die wichtigsten Worte sind: Gemüse, Kleingarten, Garten, Selbstversorger, Obst, Öko, Schrebergärtner
Ein Computer würde diesen Text der Kategorie Garten zu ordnen.