Wann immer Monsieur M. nach draußen ging, sei es zur Arbeit als Buchmacher, zum Theater mit seiner zwar attraktiven aber nervigen dritten Ehefrau oder auf den Markt, schritt er zuerst zu seinem Kleiderständer, nahm den verschlissenen alten Lederhut seines Vaters und begab sich erst vor die Tür, wenn dieser richtig auf seinem Haupt saß.
Der Herrenhut, an der Krempe bereits mehrmals geflickt und der Saum ausgefranst, war weder ansehnlich oder gar modisch gewesen. Außer als Erinnerung an den verstorbenen Vater hatte der Hut augenscheinlich keinen Wert. Für Monsieur M. besaß er nichts Wertvolleres als dieses Stückchen altes Leder.
In Paris stand die Luft, es war schwül und roch nach übermäßig viel Jasmin, eigentlich keine günstige Gelegenheit für eine Kopfbedeckung aus Leder. Doch an diesem Mittag wollte Monsieur auf dem beliebten Marché aux puces in Saint Ouen flanierten und setzte auf dem Weg zur Haustüre rasch seinen Hut auf. So gewappnet für einen Ausflug ohne seine Ehefrau konnte es losgehen.
Er wollte den freien Tag genießen und die Zeit nutzen ein Geschenk zum Geburtstag für seine Dame zu finden. Das würde nicht einfach werden. Als seine dritte Ehe sollte es doch einfacher geworden sein als bei den bisherigen Versuchen. Aber wie immer, wenn es um die Frauenzimmer ging, hatte er sich auch bei ihr geirrt.
Wenn er von Arbeit kam, war sie meist schon da und erwartete ihn nicht wie erwartet mit einem liebevoll vorbereiteten Abendbrot, sondern mit Besen und Schrubber und verdonnert ihn mit resoluter Beharrlichkeit zur Hausarbeit bevor er Essen durfte. Manchmal fühlte er sich er wie ein Hund oder einen alten Maulesel, als ein Ehemann.
Hatte sie getrunken und das merkte er meist schnell, dann war es sicherer noch eine Runde durch das Quartier zu ziehen bis seine Madame eingeschlafen war. Andernfalls musste er am nächsten Tag seinen Kollegen auf Arbeit erklären, wo er sich wieder gestoßen hatte, um die blauen Flecken im Gesicht begründen zu können.
Auf dem Markt freilich musste er nicht an Zuhause denken und fühlte sich frei genug seine eigenen Pläne zu machen. Dennoch musste er noch ein Geschenk finden für den Drachen der daheim auf ihn warten würde.
Nach Stunden entlang der Stände hat Monsieur M. immer noch nichts gefunden, dass den Ansprüchen seiner Frau gerecht werden könnte. So in Gedanken, was er tun sollte, fragte er laut an niemanden gerichtet was er schenken könnte.
Die anderen Besucher des Marktes hörten in diesem Moment nur ein leichtes Brummen, dass an eine zu groß geratene Hummel erinnerte. Für Monsieur M. war es aber ein lang ersehntes Gespräch. Eine Unterhaltung mit seinem alten Hut.
Nach seiner Auffassung war es der Geist seines Vaters, dem alten Frauenheld, der da mit ihm sprach und immer wieder die besten Ratschläge für ihn parat hatte. Wenn die Geschäfte als Buchhalter nicht gut liefen, fragte er ins Blaue und erhielt vom Hut immer die richtigen Investitionsentscheidungen. Drohte ein Blumentopf von einem Balkon auf seinen Kopf zu stürzen, dann warnte ihn die Stimme auf seinem Kopf rechtzeitig.
Monsieur M. vertraute dem in die Jahre gekommenen Erbstück vollends und freute sich schon das richtige Geschenk für seine Dame zu erstehen. Also kaufte er eine hässliche kleine Vase und besorgte im nahegelegenen Park noch ein paar Blumen, die er Zuhause in die Vase stellte.
Madame M. kam von einem Damenkränzchen schon leicht schwankend nach Hause und war wenig begeistert von dem Geschenk Ihres Mannes. Von Flüchen begleitet, wie wenig sie ihrem Ehemann bedeuten würde, flog die Vase samt Blumen und Wasser quer durch den Raum. Sie zerschellte knapp neben ihm. Sich duckend wollte Monsieur den Raum verlassen wurde aber von einem Schlag mit einem Besenstil an der Flucht gehindert. Er sollte die Sauerei beseitigen an der ausnahmslos er schuld sei.
Mit dem Knall der Haustür hinter sich begann er die Scherben auf zu fegen, das vergossene Wasser aufzuwischen und die Reste der Blumen wegzuschmeißen. Einmal mehr fragte er sich wie er dieses Monster von einer Frau nur heiraten konnte und überlegte wie er zu einer günstigen Scheidung kommen könnte.
Da er dem Hut immer noch vertraute, setzte er ihn im Wohnzimmer sitzend auf und fragte laut, wie er seine Ehe am besten beenden könne. Er solle ein besseres Geschenk besorgen, riet der alte Hut. Etwas zweifelnd aber mit neuem Mut machte sich Monsieur M. auf erneut den Markt zu besuchen, den er erst vor wenigen Stunden verlassen hatte.
Diesmal war es ein schönerer, wenn auch antiker Teller, den der Hut für Ihn aussuchte. So trug er den Teller und den Hut voller Vorfreude nach Hause. Er hatte erwartet, dass das Geschenk seine Frau wieder nicht begeistern würde und er einer Scheidung wieder ein Stück näherkommen würde.
Zu seiner Überraschung aber erfreute die Entschuldigung in Form eines in die Jahre gekommenen Blumenmusters auf Porzellan seine Dame doch sehr. Der Hut funktioniert wohl nicht mehr richtig, dachte sich der verwirrte Ehemann einmal mehr. Da der Hut ihm über die Jahre aber immer gute Dienste geleistet hatte, beschloss M. ihm am nächsten Tag eine neue Chance zu geben für das Ende seiner Ehe zu sorgen.
Wieder besorgte er nach Anweisung des Hutes ein Geschenk für seine Ehefrau, welches einen regelrechten Begeisterungssturm entfachte, wie er es noch nie bei seiner Frau erlebt hatte. Um ganz sicher zu gehen, dass der Hut wirklich kaputt zu seinen schien, versuchte er die Ratschläge des Hutes ein letztes Mal zu testen.
Am Abend des nächsten Tages, nach einem weiteren Geschenk und einer noch begeisterten Partnerin, musste Monsieur M. auch noch nach langer Zeit wieder das gemeinsame Bett mit ihr teilen.
Er entschied für sich, wachliegend im Bett neben seiner schnarchenden „besseren“ Hälfte, der Geist seines Vaters hatte einen merkwürdigen Sinn für Humor oder der Hut war jetzt gänzlich nicht mehr zu gebrauchen. Also würde er den Hut am nächsten Tag nicht mehr aufsetzen, denn noch einen weiteren Tag mit einer glücklichen und zufriedenen Ehefrau würde er nicht überstehen.
Der nächste Morgen endete für Monsieur M. bereits wenige Meter hinter seiner Haustür. Aus dem achten Stock, von der Balustrade der Dachgeschosswohnung einer jungen Frau, fiel ihm, ohne viel Aufmerksamkeit zu erregen, ein Blumentopf mit Kaktus auf den hutlosen Kopf. Auf den Fotos der Gerichtsmedizin sah es fast so aus als das ihm statt eines Kopfes ein Kaktus gewachsen wäre. Die Schlagzeile des nächsten Tages besagten der Kaktus hätte den Sturz unbeschadet überstanden. Über Monsieur M. wurde kein Wort verloren.
Wenige Tage später gab es eine unspektakuläre Beisetzung im kleinsten möglichen Kreis. Der Pfarrer und die trauernde Witwe waren zugegen, weder die Arbeitskollegen noch die Freunde des Mannes waren erschienen. Es regnete, der Wind frischte auf und das Grab wirkte eher wie eine Grube, denn als angemessene Ruhestätte.
Als die Frau am Ende der Beerdigung die Stelle verließ an dem die sterblichen Überreste ihres Mannes nun für immer bleiben würde, konnte man die Inschrift auf seinem Grabstein lesen: „Auch im Tode sind wir nicht geschieden.“
Sie setze sich den alten ledernden Herrenhut ihres verstorbenen Mannes auf, sagte „Hallo mein Schatz.“ und ging mit breitem Lächeln ihres Weges.