… ich hatte die Gelegenheit bei einer der Vorpremieren dabei zu sein.
Am 15.10. ging es dann richtig los mit der eigentlichen Premiere. Naturgemäß folgten gestern die ersten Rezensionen und Bewertungen des Abends. Zu meiner Verwunderung fielen diese eher schlecht aus, besonders wenig Gutes vermeldete “Die Welt” in Ihrem Artikel “Hamburger Musical von der Resterampe” ((http://www.welt.de/regionales/hamburg/article147647128/Hamburger-Musical-von-der-Resterampe.html)). Diese schon fast als zynisch zu bezeichnende “Kritik” ist für mich Anlass genug meine eigenen Eindrücke festzuhalten.
Die größte Liebesgeschichte aller Zeiten geht weiter
“Liebe stirbt nie” (org. “Love never dies”) des Kultkomponisten Andrew Lloyd Webber ((u.a.: Cats, Evita, Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat, Jesus Christ Superstar und Sunset Boulevard)) setzt die tragische Liebesgeschichte zwischen Christine Daaé und dem Phantom, weit weg von den Geschehnissen in Paris, aus “Das Phantom der Oper” fort.
Wir schreiben den Anfang des 20. Jahrhunderts auf Coney Island.
Rund zehn Jahre (1907) nach den dramatischen Begebenheiten in der Pariser Oper (eigentlich muss man von 1881 ausgehen) ((Internet Broadway Database: The Phantom of the Opera)), reist, die zu Ruhm als Sängerin gelangte, Christine Daaé mit ihrem Ehemann Raoul und ihrem Sohn Gustave für einen Auftritt nach Coney Island. Zur allgemeinen Verblüffung trifft sie dort auf das Phantom, welches sie für tot geglaubt hatte. Das Phantom führt inzwischen einen Vergnügungspark namens „Phantasma“ und hat Christine unter dem Decknamen „Mr. Y“ eingeladen. Madame Giry und ihre Tochter Meg, die für das Phantom arbeiten und es aus Paris in einer Nacht und Nebel Aktion gerettet hatten, reagieren darauf mit Eifersucht und Wut. Während Meg um die Liebe des Phantoms buhlt und Raoul gegen seine Alkoholabhängigkeit kämpft, sind Christine und das Phantom damit beschäftigt in romantischen Erinnerungen an die Zeit in Paris zu schwelgen. Dem Sohn Gustave kommt eine Schlüsselrolle zu, als die Bedürfnisse und Wünsche eskalieren.
Eine überwältigende Inszenierung
Stage Entertainment ((http://www.stage-entertainment.de/musicals-shows/liebe-stirbt-nie-hamburg/show.html)) ist es aus meiner Sicht gelungen aus der wahnwitzigen Welt Coney Islands eine Brücke zur größten Liebesgeschichte aller Zeiten zu bauen. Der Stil der Kulissen, der Kostüme und Atmosphäre lassen den Besucher spüren, dass er wieder bei seinem geliebten Phantom angekommen ist.
Das Phantom verkörpert durch den Isländischen Tenor Gardar Thor Cortes schafft es mit einer scheinbaren Leichtigkeit der, in die Jahre gekommenen, Akustik des Operrettenhaus Hamburg auf dramatische Weise einen großen Raum für die alten Gefühle zugeben, die über 10 Jahre in ihm schlummerten.
Die Zerrissenheit zwischen Treue, Verlangen und wahrer Liebe konnte die Darstellerin von Christine, Sopranistin Rachel Anne Moore, für mich mehr als überzeugend präsentieren. Die gebürtige Amerikanerin konnte dem stimmgewaltigen Cortes ebenbürtig gegenübertreten.
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Kritik muss sein
Vielen Kritiken scheint die Inszenierung zu altbacken und wenig konkurrenzfähig zu anderen derzeitig laufenden Musicals zu sein. Ich hingegen bin gerade davon überzeugt, dass das sehr klassisch gehaltene Arrangement im Zusammenspiel mit den klassischen Operettenmelodien Webbers einen Kontrapunkt in der aktuellen Musicalzeit darstellen. Das Libretto stammt von Webber, Slater und Ben Elton und ist seit langem endlich wieder einmal dem klassischen Musikalien gewidmet und kann daher auf zusätzliche Effekthascherei verzichten.
Die Komposition ist, in seiner in Hamburg gezeigten Version, sehr eigenständig, reanimiert aber auf Stellen aus Phantom der Oper zurück. Dies macht das Musical “Liebe stirbt nie” zum Nachfolger von Phantom der Oper ohne zu sehr als eine ausschließliche Fortführung zu sein. Denn Inhalt, wie auch Inszenierung sind ohne den “Vorgänger” alleinstehend.
Bei jeder positiven Erfahrung bleibt aber ein Kritikpunkt: Die Szene im Spiegelkabinett des “Phantasmas” blendet den Zuschauer auf dem Parkett sehr, sodass leider ein musikalischer Höhepunkt unter minderer Aufmerksamkeit leiden kann. Ich persönlich bin aber davon überzeugt, dass dies das Erlebnis im Ganzen keinen Abbruch tut.
Daher ist es um zu verwunderlich, wie der Schmierfink “Der Welt” auf seine Kritik gekommen ist, entweder hat er die Geschichte hinter dem Stück nicht verstanden, noch scheint er große Erfahrungen im Bereich Musical zu besitzen. Denn hinlänglich zu Ende erzählt und wirr war das Phantom der Oper nie, es würde nie klar was aus Christine und Raoul wurde, nie wussten wir was mit dem Phantom geschah. Warum war Raoul alleine bei der Auktion, warum war Angst und Freude in der Musik der Spieluhr?
Die Darsteller waren grandios und haben es geschafft die nicht mehr zeitgemäße Akustik des Hamburger Operrettenhaus zu überspielen. Kulisse und Bühnentechnik haben (bis auf einen kleinen Hackscher am Anfang, für eine Vorpremiere aber durchaus in Ordnung) die Welt Cony Islands erlebbar gemacht und ohne Effekthascherei geholfen die Liebesgeschichte tief in die Herzen der Zuschauer zu bringen.
Am Ende brauchte es reichlich Taschentücher, für Trauer und Freude gleichermaßen.
Natürlich sind Stück Webbers nicht mit “modernen” Musicals mit Songs von Phil Collins ((Tarzan)) oder Udo Lindenbergs ((Hinterm Horizont)) zu vergleichen. Ich glaube aber eben auch das “Liebe stirbt nie” diesen Vergleich auch gar nicht braucht, denn es ist eben kein “Pop”- Musical sondern eines der schönsten klassischen Musicals die Stage in den letzten Jahren produziert hat.
Für mich war es ein gelungener Abend.
ERGÄNZUNG: Es gibt durch aus Kulturkritiker die ihren Job verstehen: angemessene Kritik, keine Spoiler und eine differenzierte Darstellung http://www.abendblatt.de/kultur-live/article206292097/Die-Liebe-stirbt-nie-Opulente-Paartherapie-in-Moll.html