Bremen und Bremerhaven haben ein Problem – nach aktuellem Stand der Dinge erfüllt das kleinste Bundesland die Vorgaben der Schuldenbremse bisher nur in eingeschränktem Maße. Aus dem Ende 2014 publizierten “Konsolidierungscheck” des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft geht hervor, dass die Hansestadt im hohen Norden sowie das Saarland bei der Umsetzung der Vorgaben der Schuldenbremse derzeit die Schlusslicht-Positionen belegen. Auch Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sowie – in etwas geringerem Maße – Hessen und Niedersachsen haben die Erledigung diverser fiskalischer Hausaufgaben noch vor sich. Ab 2020 werden die Vorgaben der Schuldenbremse auch für die Länder bindend, die Aufnahme neuer Schulden auf Landesebene ist danach laut Grundgesetz nicht mehr erlaubt.
Was ist die Schuldenbremse?
Die Schuldenbremse ist ein verfassungsrechtliches Instrument, das von der Föderalismuskommission 2009 beschlossen und 2011 erstmals angewendet wurde. Dabei geht es um verbindliche Vorgaben für eine Reduktion des Haushaltsdefizits von Bund und Ländern – vor dem Hintergrund, dass sich die bundesdeutsche Staatsverschuldung zum Entscheidungszeitraum über die Schuldenbremse auf knapp 1,7 Milliarden Euro aufsummierte. Dieser Wert überstieg die Maastricht-Grenzen respektive die Regelungen des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts bei weitem, nach denen die Schuldenquote der Euro-Staaten maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) betragen darf. Für die Einführung der Schuldenbremse musste seinerzeit das Grundgesetz (Artikel 109, Absatz 3) geändert werden, im Bundestag sowie im Bundesrat wurde sie jeweils mit einer Zweidrittel-Mehrheit angenommen. Laut ihren Vorgaben ist dem Bund ab 2016 nur noch eine Nettokreditaufnahme von maximal 0,35 Prozent des BIP gestattet, die Übergangsfrist für die Länder bis zum Inkrafttreten des absoluten Verbots der Aufnahme von Neukrediten läuft im Jahr 2020 aus. Ausnahmen gelten für Bund und Länder bei einer antizyklischen Konjunkturentwicklung sowie bei Naturkatastrophen und “außergewöhnlichen Notsituationen”, worunter auch globale wirtschaftliche und finanzielle Krisen fallen. Zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen wurden auf Bundes- und Landesebene außerdem Frühwarnsysteme eingerichtet. Anders als bei der Schweizer Schuldenbremse wurden in Deutschland keine Budgetregelungen getroffen, die eine Tilgung der bereits aufgenommenen Kredite fordern, es geht hier ausschließlich um eine wirksame Begrenzung respektive den Ausschluss neuer Schulden.
Bremen und Bremerhaven erhalten Konsolidierungshilfen von 300 Millionen Euro
Bremen inklusive Bremerhaven gehört zu jenen fünf Bundesländern, die im Zeitraum 2011 bis 2019 Strukturhilfen in Höhe von insgesamt 800 Millionen Euro pro Jahr erhalten, auf den Stadtstaat entfallen davon bis zum Auslaufen dieser Förderung 300 Millionen Euro. Voraussetzung ist, dass die Empfängerländer einen Konsolidierungsplan erfüllen, der bis 2020 eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung sicherstellt. Die betreffenden Länder stehen seit 2011 unter strenger Aufsicht. Nicht nur durch den Konsolidierungscheck, sondern auch durch das “Länderfinanzbenchmarking 2014” der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC erhielten vor allem Bremen sowie das Saarland schlechte Noten. Ein PWC-Sprecher empfahl insbesondere, die Sozialstandards dieser Länder – beispielsweise im Hinblick auf die Eingliederungshilfe sowie Sozial- und Jugendhilfe – zu überprüfen.
Strukturelle Verwerfungen durch Null-Regelungen für die Neuverschuldung?
Die Umsetzung der Schuldenbremse ist in der Bremischen Landesverfassung heute fest verankert. Experten, unter anderem Professor Rudolf Hickel, Gründungsdirektor des Bremer Institut für Arbeit und Wirtschaft (IAW), sehen in ihrer aktuellen Anwendung allerdings sowohl aktuell als auch für die Zukunft die Gefahr von strukturellen Finanzkraftunterschieden zwischen den Bundesländern. Die Gründe für die Bremer Schuldenproblematik sieht Hickel nicht in einem “überbordenden Ausgabenverhalten”, sondern als eine Folge der Finanzierung der deutschen Einheit, der Finanzierung überfälliger und zukunftsrelevanter Strukturmaßnahmen sowie der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Schuldenbremse bezeichnet er vor diesem Hintergrund als einen, der realen Situation des Landes nicht angemessenen, “Antischulden-Populismus”. Seine Kritik zielt nicht auf eine Begrenzung oder den Stopp der Nettokreditaufnahme an und für sich, sondern auf einen Automatismus, der sowohl der Realität als auch finanzwissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht. Für die Hansestadt relevante, parlamentarisch abgesicherte Ausgabenentscheidungen werden künftig möglicherweise durch Ausgabenkürzungen aufgrund externen Drucks ersetzt, zumal auf Steuererhöhungen als Finanzierungsinstrument verzichtet werden soll. (Quelle: http://www.fofi.uni-bremen.de/files/heinemann/publikationen/Bremer%20Diskussionsbeitraege%20zur%20Finanzpolitik%20-%20Nr.%205.pdf, S. 9 + 10)
Eine Analyse der SPD-Fraktion in der Bremer Bürgerschaft kommt zu einem vergleichbaren Ergebnis und nennt einige konkrete Zahlen: Demnach fließen 40 Prozent der erwirtschafteten Einkommenssteuer nicht in den Stadtstaat selbst, sondern das niedersächsische Umland, wo rund 120.000 in der Hansestadt tätige Pendler wohnen und folglich auch ihre Steuern zahlen. Auch wichtige infrastrukturelle Aufgaben für die Umlandgemeinden – beispielsweise die Sicherung des öffentlichen Nahverkehrs über die Landesgrenzen hinaus, der Flughafenbetrieb, Unterstützung für die überregionale Wirtschaft oder die Finanzierung von überregional wirksamen Bildungs- und Kulturangeboten- werden durch das Land ohne angemessene Kompensationsleistungen wahrgenommen. (Quelle: http://www.spd-fraktion-bremen.de/was-uns-antreibt/selbstaendig.html)
Schuldenstand und Konsolidierungsziele
Laut einem Senatspapier vom 9. April 2013 bewegen sich die öffentlichen Ausgaben Bremens zwischen 2011 und 2017 permanent im Minus – zwar mit sinkender Tendenz, aber mit einem jeweils negativen Finanzierungssaldo. 2014 stand den (prognostizierten) bereinigten Ausgaben von 4.532 Millionen Euro ein strukturelles Defizit von 493 Millionen Euro gegenüber, letzteres soll sich bis 2017 auf 278 Millionen Euro verringern. Die gute Nachricht: Der Landeshaushalt bleibt seit 2011 kontinuierlich unter dem zulässigen strukturellen Defizit, das für 2014 mit 672 Millionen Euro und für 2017 mit 336 Millionen Euro angegeben ist. Seit dem vergangenen Jahr trägt die Erhöhung der Gewerbesteuer zur Entlastung der öffentlichen Kassen bei. (Quelle: http://www.fofi.uni-bremen.de/files/heinemann/publikationen/Bremer%20Diskussionsbeitraege%20zur%20Finanzpolitik%20-%20Nr.%205.pdf, S. 27). Aus den nach wie vor gegebenen strukturellen Defiziten folgen allerdings entweder neue Schulden oder Leistungs- und Investitionsverzicht.
Ein Ausblick für die Zukunft?
Dass eine Begrenzung der Neuverschuldung unabdingbar ist, steht auch für Kritiker des aktuellen Prozederes außer Frage. Grundsätzliche Alternativen dazu gibt es weder aus haushaltspolitischer Perspektive noch aufgrund der Verantwortung gegenüber künftigen Generationen. Fraglich ist jedoch, wie eine sinnvolle Umsetzung erfolgen kann.
Professor Hickel beruft sich in seinem Positionspapier zum Thema unter anderem auf einen Gesetzentwurf zur Änderung der Landesverfassung des Bundeslandes Bremen, bei denen SPD und BÜNDNIS 90/GRÜNE federführend waren. Die Forderung der beiden Fraktionen besteht in einer Schuldenbremse mit Schutzklausel, die einige Vorgaben für den Bund aus dem Grundgesetz für Bremen aufgreift. Realistisch wäre für die Hansestadt demnach ein umfassendes Finanzkonzept inklusive der Erhöhungsmöglichkeiten für Steuern, Beiträge und Gebühren, ein “problemangemessener Umgang” mit konjunkturellen Defiziten sowie genügend Spielraum für Ausnahmen von der strukturellen Null-Neuverschuldung, falls Konjunktureinbrüche oder anhaltende Rezessionen eine antizyklische Finanzpolitik erfordern. Auch eine sinnvolle Altschuldenregelung für Bremen, aber auch andere Bundesländer ist aus Sicht des Finanzwissenschaftlers und der beiden Bremer Senatsfraktionen nötig. Beide Seiten plädieren in diesem Kontext für einen bundesweiten Tilgungsfonds, der die Ausgaben für Zinsen reduziert und dafür sorgt, dass für wichtige Ausgaben Spielräume entstehen. (Quelle: http://www.fofi.uni-bremen.de/files/heinemann/publikationen/Bremer%20Diskussionsbeitraege%20zur%20Finanzpolitik%20-%20Nr.%205.pdf, S. 10 + 11)
Mein Kommentar:
Wie man sehen kann, ist die Schuldenbremse komplex, wirtschaftlich notwendig und für zukünftige Generationen unumgänglich. Aber sie stellt uns auch vor erhebliche Herausforderungen: Wir müssen aus meiner Sicht gemeinsam mit allen Bürgerinnen und Bürgern in einem offenen Dialog herausfinden, welche optionalen Leistungen sich Bremerhaven leisten will und wie wir die obligatorischen Aufgaben kostengünstig optimieren können.